Samstag, 9. Januar 2010

Offener Brief an die Bischöfin von 25 Millionen deutschen Kirchenchristen

Verbunden mit der Hoffnung und Erwartung, dass die neue Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, Wolf Bergelt aus Berlin antworten wird, posten wir seinen offenen Brief an die Bischöfin in diesem Blog, verbunden mit der Absicht, die Reaktionen darauf an dieser Stelle zu begleiten.


--------------------------------------------------------------------



Liebe Frau Käßmann,

angenehm berührt habe ich den Medien entnommen, daß und wie Sie sich in den letzten Tagen zur Afghanistan-Frage geäußert haben. Aber Afghanistan ist nur Teil eines globalen Hamsterrades, in dem wir uns alle befinden. Und Hamsterräder verhindern den aufrechten Gang. Der ist nur möglich, wenn wir aus diesem Rad aussteigen, ganz eigene, selbst bestimmte Wege gehen und ein NEIN sagen können, das zugleich ein JA zu uns selbst sein kann. Das können wir aber nur, wenn das Rad zur Ruhe kommen kann und wir unbeschadet aussteigen können. Dieser Ruhe- und Ausstiegspunkt zur Selbstbestimmung kann heute (weltweit) nur ein bedingungsloses Grundeinkommen sein. Es wäre die Antwort auf unzählige andere Fragen und würde alle Menschen unabhängig von ihren kulturellen Unterschieden auf gleiche Augenhöhe bringen.

Stellen Sie sich vor, keiner von uns müßte mehr das Lied dessen singen, dessen Brot er ißt. Glauben Sie, daß dann noch jemand nach Afghanistan in den Krieg gehen würde, um Menschen(kinder) zu erschießen und selbst erschossen zu werden? Glauben Sie, daß noch jemand nach Wachstum schreien würde, wenn er gesättigt, zufrieden und voller Selbstbestimmungsfreude wäre? Glauben Sie, daß dann noch jemand bei einem Waffenproduzenten arbeiten wollte, wenn er sein Selbstbestimmungsglück ausüben und durch diese tagtägliche Erfahrung dasselbe allen anderen Menschen wünschen könnte?

Vielleicht fragen Sie sich, woher ich diese Sicherheit nehme? Ganz einfach: aus der Beobachtung, daß wir alle Bedürfnisse haben, auch wenn wir "arbeitslos" sind. Zu diesen Bedürfnissen gehören nicht nur essen, trinken und ruhn, sondern auch denken, fühlen und das (freie) Tun. Arbeit ist also ein Bedürfnis und nicht etwa eine notwendige Fremdbestimmung. Und nun stellen Sie sich vor, Sie wollen eine soziale oder kreative Arbeit machen und es kommt jemand zur Tür herein, um ihnen zu sagen, daß Sie jetzt für 1 € Fahrräder von Leuten zu bewachen haben, die das gar nicht wollen ... oder Fenster bei einem Pharmaproduzenten zu putzen hätten, der sich nur auf und über Kranke freut. Das ist gerade so, als ob jemand Marzipan will und stattdessen zum Fett gezwungen wird, wogegen er allergisch ist.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist die zeitgemäße Form bedingungslosen Daseinsrechts und - wenn man so will - die eigentliche christliche Herausforderung der Gegenwart. Aber wir müssen sie bewußtseinswach ergreifen, wenn wir nicht Opfer anderer Kräfte werden wollen. Stellen Sie sich vor, diese Idee wäre in der Finanzkrise vor dem 3. Reich genauso stark gewesen wie heute und wäre in Deutschland rechtzeitig kraftvoll aufgegriffen worden. Dann hätten die anderen Kräfte keine Chance gehabt. Heute stehen wir wieder an einem solchen möglichen Abgrund der Geschichte und Sie stehen an einer Stelle, von der aus Sie fast 25 Millionen deutschen Menschen etwas vermitteln helfen könnten, was die Kirche vor dem 3. Reich verschlafen hat.

Mehr wollte ich Ihnen nicht sagen. Sie sind ein Mensch und es macht Sie keineswegs unmenschlicher, wenn Sie alles ganz anders sehen als ich.

Mit herzlichen Grüßen,

Wolf Bergelt

Keine Kommentare: